20 Jahre ist es her: Im April 2005 hob Intendant Christian Stückl am Münchner Volkstheater "Radikal jung" aus der Taufe – ein Festival für junge Regisseurinnen und Regisseure, die sich mit von einer Jury ausgewählten Inszenierungen in München präsentieren.
Scouting-Plattform für das Volkstheater
Das Konzept hat sich bewährt. Zum einen funktioniert das Festival für das Volkstheater selbst als eine Art Scouting-Veranstaltung, um Nachwuchsregiekräfte fürs eigene Haus zu entdecken. Und zum anderen wurde "Radikal jung" schnell zu einer der wichtigsten Talentbörsen für die deutschsprachige Theaterlandschaft insgesamt.
Dass sich Stückl zum Start der Jubiläumsausgabe hochzufrieden zeigte ("Ich freu’ mich, dass schon am ersten Tag das Haus ganz voll ist!"), ist insofern nicht ganz überraschend. Dabei steht bei den gezeigten Inszenierungen keineswegs immer die Perfektion im Vordergrund. Sondern vielmehr: das Potenzial der Nachwuchsregiekräfte.
Adrian Figueras überzeugt mit Borchert-Inszenierung
Die Eröffnungspremiere auf der großen Bühne des Münchner Volkstheaters freilich bewegte sich trotzdem durchaus schon auf sehr hohem künstlerischem Niveau: Adrian Figueras inszenierte Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür", ein Gastspiel des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Figurea hat Borcherts Stück über den traumatisierten Kriegsheimkehrer Beckmann, dessen Gemütszustand zwischen Wahnsinn und Hellsichtigkeit changiert, in einer in schummriges Zwielicht getauchten Zwischenwelt angesiedelt. In einem abstrakten Raum aus schwarzen Kuben, in deren Innerem sich immer wieder fast naturalistische Interieurs auftun.
Figurea inszeniert versiert, die Düsternis des Dramas wirkt nahezu überästhetisiert. Gleichwohl entwickelt der Abend einen finsteren Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
Nicht alle Inszenierungen sind so stark
"Draußen vor der Tür" stehen in gewisser Weise auch die Figuren in Dincer Gücyeters Roman "Unser Deutschlandmärchen". Mit Figureas Arbeit kann die Dramatisierung von Antigone Akgün allerdings kaum mithalten. Gücyeters erzählt in seinem Roman die Familiengeschichte türkischer Gastarbeiter, die als Arbeitskräfte in Deutschland willkommen waren, während ihnen der Zugang zur Gesellschaft ansonsten weitgehend verwehrt blieb.
Antigone Akgüns Inszenierung im Ambiente einer Kneipenbühne kann sich nicht entscheiden zwischen holzschnittartiger Bebilderung und performativen Ansätzen. Während Figurea beinah schon zu virtuos inszeniert, wirkt Akgüns Arbeit, eine Produktion des Theaters Aachen, eher unbedarft. Am experimentierfreudigsten erweist sich "Rhapsody" von Azeret Koua. Für die neue Co-Leiterin des Theaterhauses Jena ist es erst die zweite eigene Regiearbeit überhaupt.
"Rhapsody" ist eine lose, der Traumlogik gehorchende Szenenfolge, die – wie die Regiearbeiten von Akgün und Figuera auch – um die Themen Ausgrenzung und Diskriminierung kreist. Koua, Afroamerikanerin, geboren in Detroit, hat das Stück nicht nur inszeniert, sondern auch selbst geschrieben.
Einen beklemmenden Abend habe sie schaffen wollen, erzählt sie im Interview. "Ich wollte den Schrei und die Angst und den Frust spürbar machen. Ich wollte einerseits Menschen, die das seit Jahren spüren, ein Gehör verschaffen. Und andererseits Leuten, die meinen, 'ach, es ist noch nicht so schlimm', mal richtig ins Gesicht schreien."
Stückl machen die kommunalen Sparzwänge Sorgen
Dieser Glaube an die gesellschaftspolitische Kraft des Theaters eint die zum Auftakt von "Radikal jung" 2025 gezeigten Inszenierungen – und unterstreicht so auch die Relevanz des Festivals. Die bezweifelt eigentlich auch niemand ernsthaft. Aber: auch in München wurden die Theateretats gekürzt.
Derzeit steht "Radikal jung" nicht zu Disposition. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt? In die Festival-Vorfreude mischte sich bei Christian Stückl beim Start jedenfalls auch Sorge: "Die Situation ist natürlich schon so, dass wir im Augenblick gezwungen werden durch die Finanzpolitik, dass uns zwei Millionen fehlen", so Stückl. "Und das Festival kostet auf jeden Fall bis zu 800.000. Das wäre ein Einsparpunkt. Aber das Festival wegzusparen wäre furchtbar."
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