Allmählich wird es dunkel, finstere Regenwolken kündigen sich an. Auf dem Parkplatz der Tegelbergbahn wuseln hunderte Rettungskräfte mit grellen Warnwesten herum: Polizei, THW, Bergwacht, Wasserwacht, das Bayerische Rote Kreuz - alle warten auf den einen Funkspruch, mit dem die Großübung beginnt.
Künstliche Intelligenz soll auf Luftbildern Menschen erkennen
Unter den unzähligen Helfern ist eine Person, die ganz besonders aufgeregt ist: Bernd Pinzer. Er ist Professor für "Maschinelles Sehen" an der FH Kempten und er hat die künstliche Intelligenz, die nun unter realen Bedingungen getestet wird, entwickelt. Mit seinen Mitarbeitern hat er das Programm mit etwa 10.000 Bildern gefüttert und trainiert, nun soll die Software auf Luftbildern selbstständig Menschen erkennen – und seien sie noch so klein und undeutlich. "Ich hoffe, dass wir es mit der KI schaffen, alle Personen zu finden".
Gegen halb sieben ist es soweit, per Funkspruch verkündet das Bayerische Rote Kreuz: "Wir haben neun vermisste Jugendliche am Tegelberg". Der Auftrag ist klar: Alle sollen so schnell wie möglich geortet werden. Die Bedingungen sind real und schwierig: Wald, Büsche und Schluchten machen das Gelände unübersichtlich, und die Mimen, die die Vermissten darstellen, können überall sein.
Tausende Bilder werden ausgewertet
Das Suchgebiet wird aufgeteilt, die ersten Drohnen starten. Konzentriert schauen die Piloten auf ihre Fernbedienungen. Alle zwei Sekunden löst die Wärmebildkamera aus, die internen Speicherkarten füllen sich in kürzester Zeit mit Tausenden Bildern.
Während über den Köpfen Drohnen brummen, steht der Wissenschaftler Bernd Pinzer vor einem großen Monitor, die ersten Aufnahmen sind eingespielt. Die meisten sehen aus wie Ultraschallbilder: schwarz-weiß, körnig, abstrakt. Laien können kaum etwas erkennen, und Profis müssen die Augen zusammenkneifen und Pixel absuchen: "Jeder helle Punkt könnte eine verletzte Person darstellen", sagt Pinzer. "Dazu kommt die Masse an Bildern, die erschlägt einen."
Mit ein paar Klicks aktiviert er die KI. Und plötzlich sind auf den schwarz-weiß-Bildern rote Markierungen zu sehen. "Hier schlägt uns die KI also vor, dass wir genauer hinschauen, und sie beurteilt sogar, wie wahrscheinlich ein Treffer ist". Die ersten Suchaktionen starten und Spürhunde schnüffeln sich den Tegelberg hoch. Es beginnt zu regnen und die Scheinwerfer des THW springen an.
"Wertvolle Zeit gewinnen"
Die Übung ist Teil des Forschungsprojekts "KIResQ", das mit 870.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Im April 2023 gestartet, befindet es sich nun in der Endphase. Das Bayerische Rote Kreuz koordiniert die Entwicklung. "Wir sind stolz darauf, dass wir das hier in Bayern testen dürfen", sagt BRK-Präsident Angelika Schorer. Ihre Hoffnung: Bergretter können die Software bald verwenden. "Mit der KI-gestützten Auswertung gewinnen wir wertvolle Zeit, schonen Ressourcen und verbessern die Effizienz im Einsatz."
"Ich will die KI haben"
Zurück zum Einsatz: Immer wieder trudeln Erfolgsnachrichten ein, immer wieder kommen gefundene Schauspieler zurück zur Basis. Noch sind nicht alle Vermissten gefunden, aber nach gut drei Stunden wird die Übung zum Schutz aller Beteiligten abgebrochen. Die Helfer treffen sich auf eine Nachbesprechung in der Tegelbergbahn.
"Ich sage, wie es ist: Ich will die KI haben", sagt der Leiter der Polizeiinspektion Füssen, Daniel Solcher. Mehr als hundert Retter klatschen. Alle scheinen sich einig zu sein: Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
"Wir konnten sieben von neun Vermissten ausfindig machen und die KI hat bei einigen Treffern entscheidende Hinweise gegeben", resümiert Bernd Pinzer, der Entwickler der KI. In den nächsten Wochen wird er analysieren, wo die KI funktioniert hat und wo sie verbessert werden kann. Für ihn steht aber schon jetzt fest: In der KI-gestützten Vermisstensuche liegt die Zukunft.
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