Bayern 2 - Zündfunk

Mikhail Kozyrev - der russische John Peel "Wenn du Rock’n’Roll performst, begibst du dich in die Gefahrenzone"

Mikhail Kozyrev ist so etwas wie der russische John Peel: Als Radiomacher hat er viele Bands groß gemacht – von denen einige Russland verlassen haben, wie er selbst auch. Wie ist sein Blick auf viele Rockmusiker, die schweigen oder das Putin-Regime sogar unterstützen?

Von: Dominik Kalus

Stand: 15.04.2025

Mikhail Kozyrev | Bild: Mikhail Kozyrev / privat

Mikhail Kozyrev konnte auch als Putinkritiker in Russland lange kommerziell erfolgreich sein. In seinen Radioshows brachte er in den 1990ern und 2000ern dem Publikum westliche Bands näher und half mit, die russische Rockszene groß zu machen. Nach der russischen Vollinvasion der Ukraine 2022 verließ er das Land Richtung Westeuropa und wurde zum "ausländischen Agenten" erklärt. Für einen Vortrag war er im April in München; wir treffen ihn vor seinem Hotel, in der Frühlingssonne eine Zigarre rauchend.

Zündfunk: Wie würdest du den Stand der russischen Rockmusik aktuell beschreiben?

Mikhail Kozyrev: In großen Teilen wirklich katastrophal. Als Russland die Panzer in die Ukraine geschickt hat, musste jeder Musiker eine Entscheidung treffen: Entweder bleibe ich und unterstütze die Machthaber oder ich verlasse das Land. Die meisten Musiker haben sich entschieden, zu bleiben. Die wenigsten können sich das Auswandern nämlich leisten – und jeder hat irgendwelche Probleme oder familiäre Angelegenheiten, die ihn zuhause halten. Aber du hast auch wenn du bleibst noch die Wahl. Du kannst trotzdem weitermachen und deine Songs singen. Aber wenn du Rock’n’Roll performst, dann begibst du dich mehr und mehr in die Gefahrenzone. Schließlich sind es düstere Zeiten in meinem Land. Jedes Wort über Frieden oder gegen den Krieg kann dir zum Verhängnis werden. Also kannst du die Klappe halten und etwas anderes machen… oder du gehst ins Risiko, machst Underground-Shows und machst weiter Musik. Aber das ist sehr gefährlich.  

Die Mehrheit von den im Land gebliebenen Musikern: Wofür haben sie sich entschieden?

Mikhail Kozyrev bei einem Vortrag.

Ich denke die meisten russischen Rockmusiker versuchen unter dem Radar zu bleiben. Wenn sie neue Songs schreiben, dann tun sie das heimlich im Keller und sperren sie erstmal weg. Vielleicht werden wir sie irgendwann zu hören bekommen. Das Ausmaß der Unterdrückung ist einfach unglaublich groß. In den 25 Jahren, die Wladimir Putin an der Macht ist, wurde ein gewaltiger Unterdrückungsapparat geschaffen.

Glaubst du, dass man im Westen oft zu hart ist mit der Kritik an russischen Künstler*innen und dem Vorwurf, dass sie schweigen und nicht aufstehen?

Die meisten können sich das Ausmaß der Angst nicht vorstellen. Das geht wirklich sehr tief. Ich erinnere daran, dass du ins Gefängnis kommen kannst, nur weil du ein weißes Blatt Papier mit Punkten hochhältst. Weil schon das als Ausdruck gegen den Krieg gewertet wird. Als Nawalny zurück kam, verhaftet und ins Gefängnis gesperrt wurde… allein in diesen zwei Wochen wurden 11.000 Menschen wegen Demonstrierens eingesperrt.

Auf deiner Website schreibst du, das russische Regime "füttert" Rockmusiker. Was ist mit diesem Satz gemeint?

Der Russische Poprocker Shaman liefert patriotische Musik und dient sich der staatlichen Propaganda an.

Naja, wenn wir über Popmusik reden, da gibt es ja immer eine ganze Reihe an Musikern, die sich der Macht anbiedern. Und die damit den Machthabern dienen. Und denen kannst du einfach befehlen: Hey Leute, in der Ukraine spielt sich Tragisches ab. Lasst uns darüber singen, wie tapfer unsere Invasoren sind. Und dann schreiben sie darüber Songs. Im Rock läuft das eigentlich anders. Aber leider gibt es heute viele, die sich selbst Rock-Musiker nennen, und sich genauso wie unterwürfige Diener benehmen. Es gab zum Beispiel eine große Tour, da sind etwa 30 Interpreten durch 30 verschiedene russische Städte gereist. Das war der größte staatliche Vertrag, der jemals für das Showbusiness gemacht wurde. Abermillionen Rubel sind da reingeflossen. Das Regime gibt diese Unsummen aus, um den Krieg, den sie begonnen haben, normal wirken zu lassen. 

Die Musiker die geflohen sind – wie du der in Westeuropa lebt – vor welchen Herausforderungen stehen die denn – und wie stehst du den Forderungen nach Boykott gegenüber? 

Alle Musiker, die Russland verlassen haben, stehen vor großen Herausforderungen. Für Stand-Alone-Rapper war es natürlich ein bisschen einfacher. Solche, die in Russland zuvor vielleicht kleinere Clubshows vor ein paar Hundert Leuten gespielt haben. Aber da sind ja auch Bands, die daran gewöhnt waren, Stadion-Konzerte vor Tausenden Menschen zu spielen. Die mussten ihre Ansprüche und ihr Leben natürlich herunterschrauben. Ich meine, wie oft im Jahr kannst du in Amsterdam oder München auftreten und dein Publikum begeistern? Gleichzeitig tut sich viel in ihrer Kreativarbeit, denn viele der Fans von Bands wie BI-2 oder Zemfira haben auch das Land verlassen und sind nun in der Welt verteilt.

Und zum zweiten Teil der Frage: Sollte man alle Russen kritisch sehen, weil Russland ein Aggressor ist? Das ist reine Dummheit. Ich habe da eine einfache Regel: Ich generalisiere nicht. Wenn du einmal sagst: Oh, die sind alle gleich, fangen die Probleme an. Natürlich muss man die Menschen wertschätzen, die gegen Putin und gegen den Krieg gekämpft haben, aber gescheitert sind. Die hatten ja keine Wahl und konnten nicht in ihrem Heimatland bleiben. Mein Standpunkt: Unterstützt die, so viel ihr könnt. Ich bin jedem dankbar, der diesen Musikern hilft. Und der nicht verallgemeinert. 

Zemfiras Antikriegs-Song Мясо (Fleisch):

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Земфира — Мясо / Zemfira — The Meat (2022)

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