Bayern 2 - Zündfunk

Nach Israel-Eklat Kneecap: Warum sich die britische Pop-Szene hinter die Skandal-Rapper stellt

Wegen gewaltverherrlichenden Statements und pro-palästinensischen Äußerungen sind die Rapper Kneecap von deutschen Festivals ausgeladen worden. Doch das Who is Who der britischen Pop-Szene stellt sich nun hinter das nordirische Trio.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 06.05.2025

Die nordirischen Rapper Kneecap | Bild: Kneecap Press

Die Liste ist lang: Pulp, die Sleaford Mods, die Idles, Fontaines D.C., Massive Attack, Tom Morello, die Dexys, Yard Act, Paul Weller, Soft Play, und fast 100 weitere Künstler haben sich mit einem Statement an die Öffentlichkeit gewandt, das überschrieben ist mit: "We stand for freedom of expression" – "Wir stehen für Meinungsfreiheit". Sie solidarisieren sich darin mit einer Band, die für Gewaltaufrufe in der Kritik steht.  

Kneecap sind für Provokationen bekannt 

Kneecap Bühnenbild auf dem Coachella Festival | Bild: Bluesky/Kneecap

Es geht um die nordirische Rap-Crew Kneecap, die für Provokationen bekannt ist. Schon der Bandname ist eine Anspielung auf das "Kneecapping", eine Bestrafung innerhalb der Terrororganisation IRA: ein Schuss in die Kniescheibe.  Aber der neuste Skandal um Kneecap hat eine andere Dimension. "The Palestinians have nowhere to go, It’s there fucking home and they’re bombing it from the sky. If you’re not calling it a genocide, what the fuck are you calling it", sagten die Rapper beim Coachella-Festival im April. Auf der Bühnenrückwand sind währenddessen die Worte: "Fuck Israel, Free Palestine" in Großbuchstaben projiziert. 

Kneecap werden vom Hurricane und Southside Festival ausgeladen 

Auf dem Instagram-Account des Hurricane-Festivals, das jedes Jahr mehr als 80.000 Besucher nach Norddeutschland zieht, heißt es daraufhin: "Die Band Kneecap wird in diesem Jahr nicht auf dem Hurricane und Southside-Festival auftreten." Eine Zündfunk-Anfrage, warum genau die beiden Festivals die Band ausgeladen haben, bleibt unbeantwortet – und Kneecap seit Tagen Gesprächsthema

"Nur ein toter Tory ist ein guter Tory"

Nach dem Coachella taucht ein kurzer Videoclip eines Konzertes aus dem vergangenen Jahr auf, in denen ein Kneecap-Bandmitglied wohl schwer verständlich ruft: "Es lebe Hamas, es lebe Hisbollah." Kurze Zeit später geistert ein weiterer Clip durch’s Netz. Auf einem Kneecap-Konzert scheint ein Rapper zu rufen: "Nur ein toter Tory ist ein guter Tory, töte deinen Abgeordneten." In einer Stellungnahme vor einigen Tagen wiesen die Rapper die Vorwürfe zurück. Man habe in keiner Weise zu Gewalt aufgerufen, die Zitate seien aus dem Kontext gerissen. Kritiker sagen dagegen: Kneecap verherrliche Gewalt unter dem Deckmantel der Kunst.  

Britische Anti-Terror-Polizei ermittelt gegen Kneecap 

Nach Informationen der Nachrichtenagentur PA ermittelt mittlerweile die britische Anti-Terror-Polizei gegen das Trio. Und die amerikanische Agentur "Independent Artist" hat die Zusammenarbeit mit der Band beendet. Stellt sich die Frage: Warum stellt sich das Who is Who der britischen Musikszene – mit Ausnahme von Sharon Osbourne, die Kneecap verurteilt – auf die Seite der Rapper?  

Britischer Nah-Ost-Diskurs unterscheidet sich von deutschem 

Unterstützer-Liste des offenen Briefs für Kneecap

"Ich glaube der Diskurs ist hier ein völlig anderer", sagt der Musiker und Journalist Robert Rotifer. Er lebt in Großbritannien und setzt sich schon seit langer Zeit mit der Debatte um Israel und Palästina dort auseinander. Kneecaps Aussagen würden dort weniger skandalisiert. "Vor allem auch, weil die Verwüstung, die Hungersnot und das endlose Blutvergießen in Gaza auch medial viel konkreter präsent ist." Kneecap übertreiben und provozieren, erklärt Rotifer. Doch in Großbritannien würden viele ihre Statements vor allem als Kritik an westlichen Staaten verstehen, die Israel mit Waffen unterstützen. Und gerade die britische Popkultur habe eine lange Tradition, vor allem die eigene Regierung zu kritisieren. 

Wie Kneecap sich entschuldigt haben 

Eine weitere Ursache für die Pro-Kneecap-Bewegung liegt in den Statements der Band begründet. Für ihre Tory-Aussagen haben sie sich entschuldigt, von Hamas und Hisbollah in den sozialen Netzwerken distanziert: "Sie wollen euch glauben machen, dass Worte schädlicher sind als Völkermord. Lass uns ganz klar sagen: Wir unterstützen weder die Hamas noch die Hisbollah und haben dies auch nie getan. Wir verurteilen alle Angriffe auf Zivilisten. Immer", schreiben die Rapper.  

Unterschiede zwischen Großbritannien und Deutschland 

Szene aus dem kürzlich erschienen Biopic über Kneecap

Aber warum differenzieren Kneecap und andere britische Acts beispielsweise nicht zwischen Israels Regierung und Opposition – und sehen Schriftzüge wie "Fuck Israel" unproblematisch? Laut Robert Rotifer sei man in Großbritannien unsensibler als in Deutschland, wundere sich aber im Gegenzug, warum in Deutschland so viel darüber diskutiert werde, was man wie sagen kann. Viele Briten seien überzeugt, dass Debatten über Begrifflichkeiten nur von dem Grauen im Nahen Osten ablenken würden. Seit den Vorwürfen argumentieren auch Kneecap und ihre Unterstützer auf diese Weise. Die Band Massive Attack schreiben in den sozialen Medien beispielsweise: "Haben Politiker und rechtskonservative Journalisten, die eine junge Punkband für ihre Bühnenauftritte kritisieren, während sie gleichzeitig einen Völkermord ignorieren, überhaupt das Recht, Festivals unter Druck zu setzen und politische Zensur zu fordern?" 

Alle sprechen nur über Kneecap 

Laut Robert Rotifer ist die extreme Provokation von Kneecap jedoch auch noch aus einem anderen Grund problematisch: Die Band selbst würde, selbst wenn sie es mit ihren Entschuldigungen ernst meint, nur erreichen, dass alle über sie sprechen. "Das Wesentliche ist nicht der Diskurs darüber, sondern das, was dort passiert.", sagt Rotifer. Wenn man Aufmerksamkeit schaffen wolle, solle man mehr über den Krieg sprechen, weniger über die Band.

OSZAR »